2023
Projektinfos

Projektwettbewerb im selektiven Verfahren: 2023
Bauauftraggeberschaft: Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG)
Mitarbeit: Adrian Kiesel, Stefan Noser, Yeshi Wang, Amelie Steffen, Jakob Streich
Landschaft:
Kuhn Landschaftsarchitekten, Zürich
Kultur:
Christian Brändle, Zürich
Statik: Patric Fischli-Boson, Büeler Fischli Bauingenieure, Zürich

 

Das Ensemble als Stadtbaustein
Das disperse, über die Jahrzehnte transformierte Quartier Neuhegi ist geprägt durch die industrielle Historie, die angestrebte Verdichtung und Urbanisierung des Quartiers, sowie die gewachsenen und etablierten Naherholungs- und Naturräume. In diesem Konglomerat aus baulichen Typologien und zeitlicher Überlagerung entsteht ein Ort für Kunst, Kultur und Geschichte. Um den unterschiedlichen Gegebenheiten und Anforderungen gerecht zu werden schlagen wir ein Ensemble aus sechs verschiedenen Gebäuden und fünf verbindenden Hallen vor. Überschaubare räumliche Situationen, vielseitige Verbindungen und raffinierte Ein-und Durchblicke schaffen für die BenutzerInnen, die BewohnerInnen und die BesucherInnen eine flexibel bespielbare Struktur für die unterschiedlichsten Funktionen.

Das «Campo-Quartier» definiert klar begrenzte Freiräume. Ein baumbestandener Baumplatz ist der zentrale Aufenthaltsort für die alle Protagonisten des Campo und beherbergt die Aussensitzplätze des Restaurants. Die chaussierte Platzfläche verknüpft Wege in den nahen Eulachpark, in den Grünraum und führt in den Gassenraum des Campo. Hin zur benachbarten Wohnsiedlung fassen die Neubauten einen weiten, durchlässigen Parkraum. Die Strassenräume begleiten grosszügigen Grünflächen und Baumpflanzungen. Das Niederschlagswasser wird über diese Flächen in den Untergrund geführt. An der Hegifeldstrasse verweisen Gartenzitate an die beiden in die Bauten integrierten Bestandesbauten.  Der durch die Bauten besetzte Grünraum wird auf den Dächern als unterschiedlich intensiv gestaltete Gründächer kompensiert.

Die Sammlung durchdringt die gebaute Architektur und ist im vorgeschlagenen Projekt allgegenwärtig. Jede der fünf verbindenden Hallen inszeniert verschiedene Aspekte des Sammelns und findet einen eigenen Umgang mit dem Kulturgut. Beiläufige Einblicke in die Abläufe der Sammlungstätigkeit wechseln sich mit kuratiert in Szene gestellten Objekten ab. So wird die Sammlung für Besucher und Passanten zum in unterschiedlichsten Formen erfahrbaren Teil des Ensembles und zur DNA des Campos.

Die sechs unterschiedlichen Häuser gruppieren sich auf dem Campo-Areal so zu einem Ensemble, dass eine maximale Durchlässigkeit ensteht. Ein-, Zu- und Durchgänge verbinden die Gebäude untereinander und mit den unterschiedlichen Parzellen des angrenzenden Quartiers. Die Häuser haben verschiedene Volumetrien mit eigenen Eingängen, optimierten Strukturen, spezifischen Fassaden und unterschiedlich ausgebildeten Dächern. Sie formen so ideale Typologien für die spezifische Programmteile des Campo und können auch unabhängig von einander ihre programmatische Funktion erfüllen. Das Konglomerat wird in seiner Vielfältigkeit an Architekturen und Nutzungen und deren Beziehungen zueinander selbst zu einem dichten und lebendigen kleinen Stadtteil.

Am Eingang des Areals an der Hegifeldstrasse steht ein in seiner Erscheinung typisches Bürohaus. Umlaufende Bandfenster, eine einfache Struktur und ein zentral gelegenes Treppenhaus bieten die Möglichkeit einer flexiblen Einteilung der Räume mit gut belichteten Arbeitsplätzen. Von weitem fällt eine zeichenhafte grüne Frisur auf – ein wilder Dachgarten für Vögel und Insekten. Aus der Nähe wird ein «verschlucktes Haus» erkennbar. Das bestehende kleine Einfamilienhaus wird erhalten und architektonisch und funktional in das neue Bürogebäude eingewoben. Sitzungszimmer und Pausenräume finden hier einen atmosphärischen starken Rahmen. Das «Bürohaus» wird so zu einem Zeichen der Sammlungstätigkeit der SKKG.

An der Hegifeldstrasse steht ein Gewerbehaus mit hohen Räumen, grossen Fenstern und einem Sheddach. Es beherbergt die Anlieferung, Werkstätten und Lagerflächen für den Unterhalt der Terresta Immobilien. Das hier stehende Dreifamilienhaus wird gesichert, minimal umgebaut und ins neue Haus integriert – es bildet so einen integrierten Raum für die Sammlungsforschung. Wir schlagen vor diesen für «Curators in Residence» für Arbeit und Wohnen zur Verfügung zu stellen. Zweigeschossige Arbeitsräume und zwei grosse neue Schaufenster zur Strasse und zum «Gate» machen die Arbeit des Kuratierens nach aussen sichtbar.

Die Räumlichkeiten der SKKG werden im bestehenden Bürogebäude untergebracht. Die einfache Struktur und die Fassade mit Bandfenstern erlauben es mit wenigen Anpassungen ein zeitgemässes Haus für Arbeit und Vermittlung zu schaffen. Die Aussenwände werden mit einer neuen, innen liegenden Dämmung energetisch aufgewertet, das bestehende Treppenhaus soll mit einem zusätzlichen Lift und einem direkten Zugang zum Campo erweitert werden, im Norden wird die bestehende Aussentreppe nach innen verlegt und ein neues Fluchttreppenhaus erstellt. Leichte Trennwände aus dem Fundus von wiederverwendeten Bürotrennwänden formen eine flexibel nutzbare Struktur für die SKKG.

Ein weitgehend geschlossenes Volumen nimmt das grosse Depot für die Sammlung im Zentrum des Ensembles auf. Die Abmessung werden unmittelbar von der darunterliegenden ehemaligen Einstellhalle übernommen. In den Depots und Archiven wird die Sammlung unter fachgerechten Bedingungen bewirtschaftet, hier verorten sich die Nutzungen des Konservierens, Restaurierens, Bereitstellens und Lagerns. In der Umschlagszone trennen sich Objekte normalen Formates und die Grossobjekte in ihrer weiteren Bearbeitung. Grossobjekte werden direkt über die Grosskonservierung in das Lager für Grossobjekte befördert. Alle anderen Objekte werden von der Anlieferung in die Quarantäne gebracht und auf Schädlinge oder Befall geprüft und allenfalls in der IPM Zone gesäubert. Falls konservatorische oder restauratorische Arbeiten nötig sind, werden die Objekte in den Studios und Konservierungsateliers aufgearbeitet. Danach werden die Objekte über zwei grossräumige Lastenaufzüge in der Vertikalen auf die Lagerflächen verteilt. Die auf das absolute Minimum reduziert horizontalen Verkehrsflächen garantieren flächeneffiziente Lagerungsprozesse. Durch die doppelte Vertikalerschliessung können die Lager flexibel genutzt, abgetrennt und auch von externen Anwendern benutzt werden.

Das Untergeschoss wird in unveränderter Form erhalten, die Stützen werden aufgrund der erhöhten Lasten verstärkt. Der bestehende Stahlbau im Erdgeschoss wird demontiert und in angepasster Form für die Verbindungshallen der Gebäude wiederverwendet. Die neue Tragstruktur aus gebrauchten Bauteilen nimmt das bestehende Stützenraster des Untergeschosses auf und führt es nach oben weiter. Exemplarisch wird dazu die Wiederverwendung von vorfabrizierten Rippenplatten und Stützen aus dem abzubrechenden Parkhaus Lysbüchel in Basel vorgeschlagen. Diese werden mit neuen Unterzügen und einer minimalen Anpassung im Bereich der geneigten Fassade (Kürzung Rippenplatten und Fügung über eine neu konzipierte DfD Fugenverbindung) zu einem passgenauen, leistungsfähigen Lagerhaus zusammengesetzt.

Ein fünfgeschossiges Langhaus, eingepackt in ein luftiges Kleid aus wiederverwendeten Trapezblechen, begleitet die Strasse «zum Park». Vorspringende halbrunde Balkone verweisen auf das Wohnen in den Obergeschossen, grosse Falttore auf die gewerbliche Nutzung im Erdgeschoss hin. Auf der strassenabgewandten Seite entwickelt sich das fünfgeschossige Langhaus zum vielfältig belebten Pawlatschenhaus. Filigrane Brücken verbinden die Laubengänge mit dem benachbarten Terrassenhaus. Zusammen mit zwei Innentreppen und zwei aussenliegenden Wendeltreppen entsteht über die verschiedenen Geschosse und Häuser ein dichtes Beziehungsgeflecht. Dieses soziale Erschliessungsgerüst vernetzt die Campo-BewohnerInnen mit dem Wohnhof, der Dachterrasse, der Eingangshalle Campo und dem benachbarten Parkraum an der Eulach.

Das Haus am Eulachpark treppt sich zum grossen Freiraum der Nachbarsiedlung ab. Im Erdgeschoss sind der Hangar, der Think Tank und das Auditorium situiert. In den Obergeschossen formen die begrünten Terrassen der Maisonettewohnungen einen hängenden Garten, der die ganze Ostfassade bestimmt. Die aufeinander gestapelten Maisonetten des Terrassenhauses werden über den Hofraum und die Verbindungsbrücken vom benachbarten Pawlatschenhaus her erschlossen, sie haben so ihre Adressierung ebenfalls an der Strasse.
Die Schotten der Wohnungstrennwände überspannen als beplanktes Holzfachwerk das Erdgeschoss von Fassade zu Fassade und ermöglichen so eine stützenfreie flexible Bespielung der gesamten Fläche mit den grossmassstäblichen Räumen der Sammlungsvermittlung. Zwischen den tragenden Holzwänden spannen leimfreie Holzrippendecken. Die tradierte Holzdecke mit Schiebeboden und Schlacke Schüttung wird neu gedacht und ermöglicht eine Konstruktion ganz ohne Leimverbindungen. Dafür werden die Balken in halber Höhe mit einer seitlichen Nut eingefräst, darin wird der Schiebeboden geführt, welcher aus Brettbohlen unter 45° verlegt wird. Darauf wird gewaschenes Aushubmaterial als Balastierung geschüttet. Darüber werden wiederum Brettbohlen unter 135° verlegt und mit den Balken verschraubt. Durch die beiden verdrehten Brettbohlenebenen wird eine Membrantragwirkung in beide Richtungen ermöglicht. Die leimfreie Konstruktion und die gefügten und verschraubten Verbindungen sind demontierbar und wiederverwendbar.

Zwischen den sechs Häusern nisten sich fünf verschiedene Hallen ein. Sie erlauben vielfältige Beziehungen der Programmteile auf unterschiedlichen Ebenen. Die lichtdurchfluteten Passagen bilden ein verbindendes Netz für die BewohnerInnen, die Beschäftigten, für die Besucherinnen und Besucher und für das ganze Quartier. Die Durchlässigkeit kann mittels Toren und Türen gesteuert und angepasst werden. Unterschiedliche Breiten, Längen und Höhen, differenzierte Dächer, der Bezug zu den angrenzenden Gebäude sowie verschiedene Funktonen charakterisieren jede Halle eigenständig. Alle weisen eigene Tragstrukturen aus wiederverwendeten Stahlträgern und eine zenitale Belichtung auf.

Campo soll ein Vorbild nachhaltiger Konstruktionsweise werden. Dazu plädieren wir für eine ganzheitlich Betrachtung der Ökologie. Die Minimierung des Grauenergieverbrauchs in der Erstellung, eine ökologische Materialwahl und ein ressourcenschonender Betrieb sind die Grundlage der Planung in allen Massstäben. Das Ensemble soll mittels Grundwassersonden und grossflächig vorgesehenen Photovoltaikmodulen ohne fossile Brennstoffe und mit wenig Energie betrieben werden können. Die Gebäudekubatur wird kompakt gehalten, so dass sich mit einem sehr guten Verhältnis der Gebäudehüllfläche zur Energiebezugsfläche ein energetisch optimierter Heizwärmebedarf ergibt. Die Gebäude sollen auch in der Erstellung einen minimalen ökologischen Fussabdruck aufweisen. Das Tragwerk der einzelnen Gebäude wird aus der städtebaulichen Setzung, den Nutzerbedingungen, dem Bestand und insbesondere der Optimierung der Ökobilanz in Bezug der grauen Energie dekliniert. Dies bedingt einerseits eine pragmatische Eingriffstiefe im Bestand, andererseits sollen die Tragstrukturen der Neubauten konsequente in Holzbauweise oder mit wiederverwendeten Beton- und Stahlstrukturen erstellt werden. Die Themen des kreislauffähigen Bauens werden dabei auf verschiedenen Ebenen umgesetzt: Beispielweise werden die Knotenverbindungen nach dem Konzept «Desgin for Disassembly» konstruiert. Die sinnvolle Wiederverwendung von eigenen und fremden Bauelementen und die Ressourceneffizienz durch hybriden Leichtbau werden als übergeordnete Konzepte verfolgt. Der Reuse der Stahlbauteile des Bestandes erfolgt nach der Optimierungslogik und dem Zuordnungsmodell nach Brütting/Fivet (EPFL). Dadurch wird «Downcycling» nach Möglichkeit vermieden und die Ökobilanz optimiert.