2018
Projektinfos

Studienauftrag: 2017–2018
Bauauftraggeberschaft: Miteigentumsgemeinschaft Grüzefeld (MEG), Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen (gaiwo), Winterthur
Mitarbeit: Tenzin Dawa Tsamdha, Oliver Walter, Joël Héritier, Lea Frauenfelder
Statik: Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure AG
Landschaft: Schmid Landschaftsarchitekten GmbH
Soziologie: Prof. Christina Schumacher, Soziologin & Dozentin für Sozialwissenschaften
Dichte und Atmosphäre: Eberhard Tröger

Studienauftrag Sanierung und Erweiterung Siedlung Grüzefeld, Winterthur

Die Siedlung Grüzefeld wurde Mitte der sechziger Jahre von den Architekten Cramer, Jaray, Paillard und Leemann unter der Mitwirkung von mehreren Genossenschaften als Musterbeispiel für den industrialisierten Massenwohnungsbau erstellt: In insgesamt 370 Wohnungen unterschiedlicher Grösse wurden die Bedürfnisse verschiedener Bewohnergruppen abgedeckt. Die Grosssiedlung ist ein Manifest urbaner Verdichtung zur Zeit der Nachkriegsmoderne. Sie ist mit ihren gestaffelten, zwei- bis zwölfgeschossigen Wohnblöcken aus vorgefertigten Betonelementen städtebaulich markant und prägend für das Quartier. Die Baukörper der Siedlung formen Aussenbereiche, die durch die Geometrie der versetzten Wohnungen und eine formal stringente Gestaltung durch Ernst Cramer eine ganz spezifische Stimmung vermitteln. Zahlreiche im Raster gepflanzte Platanen gliedern die Freiräume der Siedlung. Die Wegverbindungen sind konsequent an die schrägstehenden Hausfassaden angepasst, wodurch sich ein durchgehendes System von Diagonalen mit grosszügigen Rasenflächen in den Zwischenräumen ergibt.

Der Sanierungsvorschlag für die typischen Baukörper interpretiert die skulpturalen und atmosphärischen Qualitäten des ursprünglichen Zustandes und übersetzt diesen in eine zeitgemässe Form. Dies geschieht zum einen durch die sanierungsbedingten Anbauten, die das ursprüngliche Bild und die Materialisierung der Überbauung aufnehmen. Und zum anderen durch den optionalen Ersatz der wenigen verbleibenden eternitverkleideten Flächen durch neue vorgehängte Betonelemente. Auch die Ersatzneubauten sollen das tradierte Bild des Plattenbaus transportieren. Sie werden mit vorfabrizierten gedämmten Betonelementen in einer zeitgenössischen Plattenbauweise erstellt und bauen so auf einer modernen Übersetzung der ehemaligen Bauweise auf. Neue Elemente wie eine signalhafte Beschriftung und die grossflächigen Verglasungen der Gemeinschaftsbereiche verankern die Architektur in der Gegenwart. Das heutige Erscheinungsbild, das durch die Sanierung nicht mehr dem Zeugniswert der Anlage entspricht, wird so inhärent aus den Massnahmen der Erweiterung und praktisch ohne zusätzliche Fassadensanierung in einen Zustand überführt, der das ursprüngliche Bild der Siedlung zur Referenz nimmt. Das Grüzefeld weist auf den ursprünglichen Zustand hin und erscheint im neuen Kleid in vertrauter Art und Weise.

Die anstehenden Sanierungsarbeiten und die notwendige Erdbebenertüchtigung werden zum Anlass einer punktuellen Nachverdichtung der Bestandesbauten genommen. Zusätzliche Lifte, Zimmer, Sanitärräume und grössere Balkone verbessern das Wohnungsangebot substanziell. Konstruktiv wird die ursprüngliche Materialisierung der Siedlung neu interpretiert, die Fassade erhält so grossflächig die für das Erscheinungsbild prägende Konstruktion mit Betonelementen zurück. Die vorgeschlagenen Massnahmen sowohl für die Sanierung als auch für die Verdichtung folgen einem Prinzip der sparsamen Eingriffe mit grosser Hebelwirkung. Sie versuchen jeweils Lösungsansätze für verschiedene Problemstellungen gleichzeitig zu geben und so mit minimalem Aufwand einen maximalen Nutzen auf mehreren Ebenen zu erreichen.

Die Sanierung des Bestandes löst in einer Art Baukastenprinzip die unterschiedlichen Anforderungen der Erdbebenertüchtigung, der Instandstellung der Wohnungen, einer massvollen Erweiterung der Wohnungen sowie die Zugangssituationen zu den einzelnen Häusern. Das Ineinandergreifen all dieser Massnahmen und die Möglichkeit, diese effektiv nach Bedarf auszulösen, versprechen eine überschaubare Kostenkontrolle. Der vorgeschlagene Bauablauf folgt diesem Ansatz und hält die Eingriffszeit in die bestehenden Wohnungen sehr tief, so dass diese bis auf eine kurze Zeit von etwa drei Wochen gut bewohnbar bleiben. Die beiden Neubauten sind durch eine klare Struktur, einfache Bauweise und ihre kompakte Form wirtschaftlich angelegt.

Das Hochhaus der GAIWO ist inhaltlich mit sehr kleinen Alterswohnungen und auch in seiner Architektur singulär ausformuliert. Durch seine Stellung am zentralen Platz nimmt es räumlich eine spezielle Position ein und auch die Sanierung der Fassaden erfolgte eigenständig. Das neue hohe Haus verdichtet das Angebot im Zentrum der Anlage. Die für das Wohnen im Alter untauglichen Wohnungen des Bestandes werden durch 45 zeitgemässe Alterswohnungen mit Begegnungszonen für überschaubare Gemeinschaften ersetzt. Im Erdgeschoss erlaubt der Neubau ein attraktives Angebot an öffentlichen und gemeinschaftlichen Nutzungen und somit eine Aufwertung des Siedlungsplatzes. Zwei oder drei Wohnungen gruppieren sich um ein halbes Geschoss versetzt um die mittig angeordnete Treppen- und Lifterschliessung. Vor den Wohnungseingängen weitet sich die Erschliessungszonen zu einem grosszügigen Eingangsbereich den sich jeweils zwei Wohnungen teilen. Verglaste Eingangsfronten und ein dreigeschossiger Gemeinschaftsraum tragen zur Belebung der Nachbarschaft und zur punktuellen Belichtung der Wohnungszugänge bei. Der in Anlehnung an den Bestand stark gegliederte Baukörper erlaubt es alle 2.5- und 3.5-Zimmer-Wohnungen als zweiseitig orientierte Eckwohnungen auszubilden. Das Kernstück bildet jeweils ein grosszügiger winkelförmigen Aufenthaltsraum an den eingezogenen Gebäudeecken, der sich in einen Koch-, Essbereich und in einen Wohnbereich gliedert. Ein kleiner vorgehängter Kräuterbalkon vor der Küche und ein Eckfenster im Wohnzimmer schaffen für die betagten Bewohnerinnen und Bewohner einen starken räumlichen Aussenbezug zur Siedlung.